Was hinter dem Abwahlverfahren steckt
Die Auseinandersetzung, die aktuell in den dauernden Versuchen kulminiert, den Fürstenwalder Bürgermeister abzuwählen, gärt schon viele Jahre lang.
Blicken wir zurück ins Jahr 2010. Nachdem Manfred Reim 20 Jahre Bürgermeister war, ging Ulrich Hengst, der Erste Beigeordnete, ins Rennen. Er hatte – genau wie Reim – fast alle Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung hinter sich. Hengst musste sich aber dem Votum der Wähler stellen. Zu dieser Zeit gab es genug Gründe, Kritik an der Amtsführung von Reim und Hengst zu üben. Über die stadteigene Wohnungswirtschaft betrieb Fürstenwalde mit der Fürstengalerie nicht nur ein defizitäres Einkaufscenter, sondern mit dem „Magnus“ auch noch ein Kaufhaus!
Weitere kommunale Gesellschaften waren in Schieflage, und Reim/Hengst verzockten zweistellige Millionenbeträge mit undurchsichtigen Swap-Geschäften in der Schweiz. Alles wurde gedeckt und gedeckelt von einer Allparteien-Koaltion. Es sollte bloß nicht an den Entscheidungen der Vergangenheit gerüttelt werden. Wer nachfragte, stieß auf eine Mauer des Schweigens, aber auch der Drohungen.
Kurz vor der Wahl von Hengst zum Nachfolger von Reim betrat ein junger, freundlicher Mann unsere Verlagsräume und erklärte, dass er zu sehr vielen zwielichtigen Geschäften der Stadt recherchiert hätte. Ob er dazu in der FW Beiträge schreiben könnte? Da sich vieles mit meinen eigenen Erkenntnissen deckte, die aber bei weitem nicht in diese Tiefe gingen, gab ich dem jungen Mann grünes Licht. Es war: Matthias Rudolph.
Er startete in der FW eine Artikelserie, die im Rathaus für Entsetzen, aber auch für Rätselraten sorgte. Irgendwann platzte dem Alt-Bürgermeister der Kragen, und Reim sagte mir im persönlichen Gespräch: „Diesen Matthias Rudolph gibt es überhaupt nicht! Das sind doch Sie, der unter falschem Namen schreibt!“
Die Verwunderung war nun auf meiner Seite. Warum sollte ich in meiner eigenen Zeitung unter einem falschen Namen schreiben, wo ich als Herausgeber doch eh in der Verantwortung stehe? Aber dieser Gefühlsausbruch von Manfred Reim zeigte die völlige Ratlosigkeit, die im Rathaus herrschte.
Wenig später entstand aus Matthias Rudolphs Artikelserie ein ernsthaftes kommunalpolitisches Engagement, und er gründete mit Mitstreitern das „Bündnis Fürstenwalder Zukunft“ (BFZ).
In den folgenden acht Jahren Bürgermeisterzeit von Ulrich Hengst ging es wie gewohnt weiter. Der Bürgermeister regierte mit seiner Allparteienkoalition. Die Zockereien mit den Zins-Swap-Geschäften in der Schweiz war sicher nicht allen Stadtverordneten geheuer, aber sie wurden nachträglich abgenickt. Keiner fragte nach. Außer Matthias Rudolph, der sich in dieses Thema eingearbeitet hatte und den entstehenden Schaden für die Stadt prophezeite. Die anderen wollten von diesem Nestbeschmutzer und seinen Vorwürfen nichts wissen.
Im Jahr 2018 gab es die nächsten Bürgermeisterwahl. Sie wurde von Matthias Rudolph haushoch gewonnen. Er lag im ersten Wahlgang bei 52,2%, während Amtsinhaber Hengst auf nur 34,5% kam.
Die Fürstenwalder wählten den Neuanfang! Aber da hatten sie die Rechnung ohne die Stadtverordneten gemacht. Sie kündigten von Anfang an, den parteilosen Bürgermeister zu blockieren – in aller Öffentlichkeit.
Bei der darauffolgenden Kommunalwahl wurde das BFZ stärkste Fraktion, auf dem zweiten Platz landete die AfD. Alle anderen Parteien, die jahrelang die Posten unter sich aufteilten und jedes noch so dubiose Geschäft des Bürgermeisters abnickten, landeten auf den hinteren Plätzen. Die Wut wurde dadurch nicht kleiner, die Konfrontation immer größer. Matthias Rudolph, dieser Störenfried, muss weg! Nachdem die etablierten Parteien am 30. Juli in der Stadtverordnetenversammlung mit ihrem Abwahlantrag deutlich gescheitert sind, gibt es nun ein Bürgerbegehren einer Initiative „Neuanfang“. In ihrem Heft, das zur Abwahl von Matthias Rudolph aufruft, kommt auch Ex-Bürgermeister Manfred Reim zu Wort, der sich für einen Neuanfang ausspricht. Man möchte ihm entgegenhalten: Matthias Rudolph ist der Neuanfang! Genau dafür wurde er vor vier Jahren mit großer Mehrheit gewählt!
Was hier propagiert wird – und wofür Manfred Reim symbolisch steht – ist der Rückfall in alte Zeiten, als ein kleiner Kreis machte, was er wollte. Und wenn die Informationen richtig sind, dass bei einem erfolgreichen Abwahlverfahren die langjährige ehemalige Zweite Beigeordnete Anne Fellner als Bürgermeisterin kandidieren wird, dann weiß man, wo die Reise hingehen soll.
Michael Hauke