Auf dem Gut Hirschaue versteht man die Welt nicht mehr. Durch die Maßnahmen, die zum Schutz der schweinehaltenden Betriebe vor der ASP ergriffen werden, steht die Freiland -Schweinehaltung mit angeschlossener Hofschlachtung und -verarbeitung vor dem Aus.
Gut Hirschaue betreibt seit 1992 eine ökologische Gatterwildhaltung. Auf 200 ha Gehegefläche werden Dam- und Rotwild, Mufflons und Freilandschweine gehalten. Von allen Haltungsverfahren ermöglicht die ganzjährige Freilandhaltung Schweinen das Ausleben ihres arteigenen Verhaltens am ehesten. Die Tiere können ihren Bewegungsdrang in freier Umgebung ausleben, im Boden wühlen, sich in Suhlen abkühlen oder an schattigen Plätzen ausruhen. Es bildet sich eine natürliche Sozialstruktur, in der sie sich auch bei Rangeleien aus dem Weg gehen können.
Die Schweinehaltung ist fester Bestandteil der Fruchtfolge innerhalb des 200 ha großen Wildgeheges. Alle Weideflächen sind gleichzeitig Ackerland. Im Rahmen einer 7-jährigen Fruchtfolge werden die Flächen mit verschiedenen Futterkulturen für die Tiere bestellt. Dadurch wird ein geschlossener Nährstoffkreislauf ohne externe Düngemittel realisiert.
Alle Tiere werden in der hofeigenen Fleischerei geschlachtet und verarbeitet, Tiertransporte entfallen. Zudem wird eine Ganztierverwertung umgesetzt. Die Schweine liefern neben hochwertigen Edelfleischteilen wertvolles Verarbeitungsfleisch und Speck. Diese sind Bestandteil vieler Wurstspezialitäten vom Gut Hirschaue. Es werden regionale Wertschöpfungsketten bedient, da die Vermarktung der Produkte überwiegend im Raum Berlin/Brandenburg erfolgt. Die Haltungs- und Vermarktungsstrukturen wurden über viele Jahre aufgebaut, sie haben sich bewährt und sind fest etabliert.
Das Gut Hirschaue hat in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Entwicklung des näher rückenden Seuchengeschehens seinen Schweinebestand reduziert. Mit Feststellung der ersten infizierten Wildschweine im Landkreis Oder-Spree wurden die Seuchenschutzmaßnahmen intensiviert. Die Schweine sind dreifach und unterwühlsicher eingezäunt. Ein Kontakt mit Wildschweinen ist unmöglich. Die Schweinhaltungshygieneverordnung wird eingehalten.
Im Frühjahr 2021 konnte eine Schlachtungsanordnung, ein Ordnungswidrigkeitsverfahren sowie eine Aufstallungsanordnung mit rechtlicher Unterstützung abgewendet werden, sogar die Sauen durften wieder gedeckt werden. Einer aktuellen Ordnungsbehördliche Verfügung nach sollen die Schweine jetzt in geschlossenen Ställen untergebracht werden. Seit dem 10.07.2021 darf das Schweinefleisch nur im gefährdeten Gebiet, der Sperrzone II, vermarktet werden. Am 09.08.2021 wurde bereits eine neue Allgemeinverfügung erlassen. Für den Betrieb bietet dieses Katz-und-Maus-Spiel keinerlei Planungssicherheit.
Es stellt sich die Frage von Tierwohl und Risikoabwägung. Für die Freilandschweine bedeutet die Aufstallung eine massive Einschränkung ihrer Lebensgewohnheiten. Damit einher steigt der Sozialstress, was zu Rangeleien bis hin zum Kannibalismus (Schwanz- und Ohrbeißen) führen kann. In der intensiven Schweinehaltung werden den Tieren daher zum Schutz (!) die Schwänze kupiert.
Was helfen die Maßnahmen zur Eindämmung der ASP, wenn diese selbst dazu führen, dass einzelne Betriebe bereits vor Ausbruch der Seuche in wirtschaftliche Existenznöte gebracht und etablierte Strukturen zerstört werden? Was soll dann noch geschützt werden? Die aktuellen Weichenstellungen im Umgang mit ASP sind wegweisend für die Zukunft der Freiland- und Auslaufhaltung in ganz Deutschland. In der Politik werden alternative bzw. eigentlich ursprüngliche Haltungsverfahren wie die Freilandhaltung offiziell zum Ziel erklärt. Gleichzeitig fehlt die sinnvolle Abwägung von verhältnismäßigen Maßnahmen, um die Freilandhaltung in ASP-Zeiten zu ermöglichen. Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, der belegt, dass das Risiko eines ASP-Eintrages in die Freilandhaltung signifikant höher ist als in die Stallhaltung.
Was will die Gesellschaft wirklich, und wem nutzt die Aufstallung der Freilandschweine?
Henrik Staar vom Gut Hirschaue meint dazu: „In der aktuellen Diskussion um lösungsorientierte Maßnahmen wünschen wir uns eine Gleichbehandlung aller Schweinehaltungssysteme. Es kann nicht sein, dass wir in seuchenfreien Zeiten – auch auf politischer Ebene – gerne als imageförderndes und zukunftsorientiertes Vorzeigesystem präsentiert werden, sich in herausfordernden Zeiten jedoch niemand mehr daran erinnern möchte und die Themen Tierwohl sowie eine ökologisch ganzheitliche Landwirtschaft in die Ecke bzw. in den Stall gestellt werden. Aus unserer Sicht erfüllen unsere Strukturen die Voraussetzungen einer zukunftsorientierten Schweinehaltung.“