von Jan Knaupp

Ich bin etwas irritiert. Nein, nicht viel, aber so ein bisschen schon. Schuld daran ist ein Karton. Als ich neulich im sogenannten Hauswirtschaftsraum, den ich aber in meinem Sprachgebrauch schnöde zur „Kammer“ degradiere, irgendeinen schuhputztauglichen Lappen suchte, fiel mir plötzlich ein kleiner Karton auf. In die vierte Regalebene geschoben, hätte ich ihn fast übersehen. Wäre da nicht diese neugierig machende Aufschrift gewesen. „Serving Micro-Fiber Dust Cleaner“ stand auf der Pappschachtel zu lesen. Vorsichtig, nicht ohne mich nach eventuellen Gaffern oder „Verstehen Sie Spaß-Paparazzi“ umzuschauen, näherte ich mich diesem Geheimnis.
Hmm, da steht er also, der Serving Micro-Fiber Dust Cleaner. Einfach so, als wäre er schon immer da gewesen. Toll! Wer hätte gedacht, dass wir so eine Errungenschaft unser Eigen nennen können. Da kämpft man täglich mit seiner Alltagsbewältigung und bemerkt überhaupt nicht, dass man Mitinhaber so eines Serving Micro-Fiber-dingsdabums ist. Das Wissen um diese Tatsache macht stolz. Obwohl, was ist das eigentlich, dieses Serving Micro-Fiber-dingenskirchen? Behutsam beäuge ich die Verpackung. Ich bin so aufgeregt. Vielleicht ist das ja so etwas …, also so etwas, was ich schon immer …, oder es ist genau dieses besondere …, welches ich unbedingt brauchen könnte?!
Die Spannung wächst ins Unerträgliche. Mit Daumen und Zeigefinger fummel ich nervös am Verpackungs-Eingangsportal herum. Geschafft, gleich bin ich am Ziel meiner mir bis dato unbekannten Sehnsucht. Aha, da ist er jetzt also. So ein Scheiß! Nach dem Spannungshoch setzt sofort ein Ernüchterungstief ein. Der Serving Micro-Fiber Dust Cleaner entpuppt sich als aufgepeppte Fusselbürste. Da wird man hier durch reißerische Produktbenennung heiß gemacht – und dann hat man eben so einen Ministaubmob in der Hand.
Erschüttert und leicht irritiert starte ich eine Safari durch den mir plötzlich fremdartig erscheinenden Haushaltsdschungel. Als erstes muss ich feststellen, das verständliches Wortgefüge auf Verpackungsmaterialien relativ aus der Mode ist. Auch wenn der Kochtopf in unseren Landen hergestellt wird, steht auf der Verpackung „all-purpose casserole dish“. Nun gut, ich weiß ja selbst, dass verschiedene Produkte auch für den Export bestimmt sind. Mir ist auch völlig klar, dass die englische Sprache die Weltsprache ist – irritiert bin ich trotzdem.
Die Suche geht weiter. Da steht eine Dose „Euro Cleaner“. Nee, das ist nichts zum Geldwaschen, das ist ein Putzmittel. „Interdental brush xx-fine“ ist die Bürste, die man benutzt, um die Zahnzwischenräume zu reinigen.
Wie Sie bereits bemerkt haben, bin ich mittlerweile im Bad angekommen. Was mich hier auf der weiblichen Badschrankseite erwartet, sprengt fast den Rahmen meiner Aufnahmefähigkeit für Fremdwörter. Da steht die Tube „DUE PHASETT pro-vit B5“, neben der Dose mit der Aufschrift „Basic Form Styling Mousse-Strong“. Der „Active caring and alc. free Stick“ lehnt ganz locker am „Infinium Regular FORCE II“. Letzteres hört sich fast an wie ein Kampfjet der amerikanischen Luftwaffe. Steckt wahrscheinlich das verbotene Treibgas drin.
Na gut, Schranktür wieder zu. Zur Entspannung gönne ich mir noch einen Blick in meine Hälfte, in den männlichen Teil des Badschrankes. Was für eine Wohltat. Rasierschaum, Gesichtscreme, Deo-Roller und Haarwachs. Ja gut, da steht auch After Shave. Aber mittlerweile habe ich mich an diese Wortverbindung gewöhnt. Die Übersetzung ist mir geläufig. Es gab aber mal eine Zeit, da hatte ich als Rasieranfänger ein Problem damit, mir bei diesem Wortgefüge eine Wohltat für das Gesicht vorzustellen. Man könnte fast sagen, ich war etwas irritiert.

Dieses „So gesehen“ entstand im Jahr 2006 und stammt aus dem gleichnamigen Buch, welches im Softcover mit 224 Seiten für 7,95 € erhältlich ist:
• Hauke-Verlag, Alte Langewahler Chaussee 44, Fürstenwalde
• Buchhandlung Zweigart, Berliner Str. 21, 15848 Beeskow

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