Von Michael Hauke
Man muss für die Vorgänge rund um die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtages dankbar sein. Wer sie beobachtet hat, versteht das gesamte politisch-mediale System. Sie zeigen schulbuchmäßig, wie miteinander verflochten ist, was nicht miteinander verflochten sein darf, wie aus der Gewaltenteilung nichts als reine Theorie geworden ist. Sie zeigen, dass dieses System nichts mehr mit dem zu tun hat, was einst Demokratie genannt wurde. Dass der Respekt vor dem Souverän – dem Wähler – auf dem Nullpunkt angelangt ist. Und wie die Medien die Dinge auf den Kopf stellen. Im Grunde zeigt die konstituierende Sitzung des Landtages in Erfurt ganz geballt, wie weit sich die „demokratischen Parteien“ von der Demokratie und die Medien von der Wahrheit entfernt haben. Wer verstehen möchte, wie es um die Demokratie und die Presse in Deutschland bestellt ist, der braucht sich nur die Vorgänge und die begleitende Pressekampagne um die erste Landtagssitzung in Thüringen anzuschauen.
Auf der Webseite der Thüringer CDU-Fraktion findet sich tatsächlich folgende Aussage: „Das Vorschlagsrecht für den Präsidenten des Thüringer Landtags liegt bei der stärksten Landtagsfraktion. Gemeinhin akzeptierter Brauch in allen Parlamenten ist, dass der vorgeschlagene Kandidat auch gewählt wird.“ Quelle: www.cdu-landtag.de. Sie finden den Beitrag unter Pressemitteilungen aus 2018.
Das Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion war noch am Tag der konstituierenden Sitzung am 26.09.2024 in der Geschäftsordnung des Landtages festgeschrieben. Da dies mit großem Vorsprung die AfD ist, wollte die CDU sie gemeinsam mit ihren neuen Freunden von BSW, LINKE und SPD zu Lasten der stärksten Fraktion ändern. Es entstand ein unwürdiges Theater. Dem von der AfD gestellten Alterspräsidenten wurde während seiner Eröffnungsrede vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU immer wieder das Wort abgeschnitten. Die Mikros der Abgeordneten blieben während der Sitzung durchgehend offen. Dafür wurde dem Alterspräsidenten während seiner Rede der Ton abgestellt. Verantwortlich: der von der CDU im Jahr 2019 eingesetzte (nicht gewählte) Landtagsdirektor Jörg Hopfe. Er unterbrach den Sitzungsleiter sogar persönlich, indem er während seiner Rede direkt an sein Pult trat. Unvorstellbare Vorgänge, wie es sie in Deutschland nach dem Krieg noch nie gegeben hat!
Warum ließen die anderen Parteien der AfD nicht einfach ihr Vorschlagsrecht, so wie es die Geschäftsordnung unmissverständlich vorsah? Die AfD-Kandidatin für das Amt der Landtagspräsidentin hätten sie dann ja immer noch durchfallen lassen können. Warum hielten sich die Altparteien nicht wenigstens pro forma an die Geschäftsordnung? Die CDU hätte mit Hilfe ihrer Verbündeten doch sowieso ihren Kandidaten inthronisieren können. So wurde ein Schauspiel sondergleichen inszeniert, das im Anrufen des Verfassungsgerichtshofes durch die CDU-Fraktion gipfelte. Es sollte ganz offensichtlich eine Machtdemonstration der CDU und der sie im Kampf gegen die AfD bedingungslos unterstützenden restlichen Parteien werden.
Denn vor dem Verfassungsgerichtshof hatte die CDU leichtes Spiel; die Richterschaft setzt sich nämlich wie folgt zusammen: Von den neun Verfassungsrichtern stellt die CDU vier, die SPD zwei, die Linke zwei und die Grünen einen. Mit „Gewaltenteilung“ hat das in etwa so viel zu tun, wie das desaströse CDU-Wahlergebnis mit einem Regierungsauftrag.
Ein besonderes Schmankerl lieferte dabei Richter Jörg Geibert. Er war nicht nur von 2010 bis 2014 CDU-Innenminister in Thüringen, sondern ist auch Vater eines Abgeordneten der aktuellen CDU-Fraktion, die den Antrag beim Verfassungsgericht stellte. In §13 (1) des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof heißt es, dass ein Verfassungsrichter „von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen“ ist, wenn er „in gerader Linie verwandt oder verschwägert“ mit „einem Beteiligten“ ist. Man nennt so etwas Befangenheit.
Aber natürlich stimmte er mit und natürlich dem Antrag seiner Partei zu. Um den Wählerwillen zu blockieren, wurde alles außer Kraft gesetzt: Die Geschäftsordnung des Landtages, das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof und alle demokratischen Grundregeln. Der AfD wurde nicht nur das Amt des Landtagspräsidenten verwehrt, sondern auch das eines Vizepräsidenten. Die mit Abstand stärkste Fraktion ist im Präsidium nicht vertreten, während alle anderen Parteien mit von der Partie sind, selbstverständlich auch die SPD, die auf 6,1% der Stimmen kam. Man bleibt lieber unter sich. So war es schließlich schon immer.
Aber es geht noch weiter. Die AfD-Fraktion hat 32 der 88 Sitze errungen, was 36,3% aller Mandate entspricht. Die CDU als zweitstärkste Kraft verfügt über nur 23 Sitze. Das müsste sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen widerspiegeln, tut es aber nicht. Denn die restlichen Parteien änderten auf Antrag von CDU und BSW kurzerhand das Berechnungssystem. Jetzt hat die AfD überall genau einen Sitz weniger – ihre sogenannte Sperrminorität in den Ausschüssen hat sich in Luft aufgelöst. Im Landtag hat sie die – noch. Denn am Ende des ganzen Theaters waren sich alle anderen erneut einig: Die AfD muss verboten werden.
Thüringens geschäftsführender Innenminister Georg Maier (SPD) forderte nach den Vorgängen rund um die konstituierende Sitzung ein Ende der AfD: „Die Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht. Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind.“
Die CDU blies ins gleiche Horn und sprach von versuchter „Machtergreifung“ durch die AfD – weil der Alterspräsident auf Einhaltung der Geschäftsordnung bestand.
Thüringen! Schon einmal wurde dort eine demokratische Wahl rückgängig gemacht. Im Februar 2020 wählte der Landtag den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, auch mit den Stimmen der AfD-Fraktion. Daraufhin meldete sich die damalige CDU-Chefin und Kanzlerin aus Südafrika zu Wort und sagte, dass die Wahl „unverzeihlich ist und das Ergebnis deswegen wieder rückgängig gemacht werden muss!“
So geschah es. Der Linke Bodo Ramelow durfte daraufhin wieder Ministerpräsident werden. Merkel ist zwar nicht mehr Kanzlerin, aber genauso wie sie seinerzeit die Demokratie rettete, tun es ihr ihre Nachfolger gleich. Sie retten die Demokratie Tag und Nacht – bis nichts mehr von ihr übrig ist.

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