von Jan Knaupp

Ich hatte einen Traum. Einen Adventstraum, besser gesagt, einen bösartigen Vorweihnachtstraum. Ich kann mir nicht erklären, woran es gelegen hat, dass in dieser Nacht die Synapsen so rücksichtslos Achterbahn fuhren. Vielleicht hängt es mit meiner alljährlichen Dezemberlektüre von Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ zusammen. Sie wissen schon, die Geschichte um den herzlosen Ebenezer Scrooge, dem von den Geistern der Weihnacht der Spiegel seines Lebens vorgehalten wird. Nächtliche Ausflüge zeigen ihm auf, welche Konsequenzen sein Verhalten nach sich ziehen. Aber besser, ich schildere Ihnen, was mir passierte. Es begann in der Nacht zum 1. Advent. Nachdem ich mein müdes Haupt zur Ruhe gebettet hatte, übermannte mich ein bleierner Tiefschlaf.
Punkt Mitternacht fegte ein kalter Wind durchs Schlafzimmer. Als meine schlaftrunkenen Augen sich an dieses merkwürdig lila schimmernde Licht gewöhnt hatten, wurde ich einer unbekannten Gestalt direkt vor meinem Bett gewahr. Da stand ein Kerl im Anzug, den Schlips akkurat gebunden, mit einem klebrigen Grinsen im Gesicht. Auf seinem Brustschildchen war in dicken Buchstaben: „Nepper, Schlepper, Bauernfänger – Centermanager“ zu lesen. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Er erklärte mit einer verkaufsgesprächgewohnten Stimme, er wäre der Geist der konsumorientierten Weihnacht und damit dafür verantwortlich, all jenen Abtrünnigen, die ihre Geschenke immer noch bei regionalen Anbietern erwerben, die weihnachtliche Kaufrauschatmosphäre eines riesigen Einkaufsparadieses zu präsentieren.
Ich wollte ihn gerade, mit Hinweis auf meinen übervollen Terminkalender, vertrösten, da bemerkte ich, dass ich plötzlich in einem schwarz-rot-gold gestreiften Pyjama mit aufgesticktem Pleitegeier steckte. Dieser Geist der Weihnacht erklärte kurz: „Ein Geschenk der Handelskette MegaMegaMega-Store mit Unterstützung der Regierung. Nachdem wir hier für den Bau unseres Konsumtempels im Trinkwasserschutzgebiet, ein riesiges Waldgebiet gerodet haben, sollten Sie endlich mal damit anfangen, Ihr kleinbürgerlich regionales Kaufverhalten zu überdenken. Megaangebote von Megaanbietern – und Sie sind so undankbar.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, tanzten plötzlich Sterne um mich herum. Ein überdimensionales Staubsaugerrohr sog mich ein, unter Zischen und Pfeifen wurde ich durch die Luft gewirbelt, und nach einem Knall fand ich mich plötzlich in einem riesigen Gebäude wieder. War ich jetzt in der Hölle? Um mich herum war alles hell erleuchtet. Soweit das Auge reichte, geschmacklose Weihnachtsdekorationen in den Ampelfarben rot, gelb und grün. Es roch nach Waffeln, Zimtsternen, Glühwein, Grog, Bratwürsten, Quarkkeulchen, gebrannten Mandeln, Eis mit Schokosoße, Rumtopf, Christstollen, Eierpunsch, Grünkohl, Zuckerwatte, heißen Maroni, Truthahn vom Grill…
Jeder einzelne Geruch sicherlich lecker, aber als nasaler Gesamteindruck ein teuflisches Gemisch. Überall hasteten gestresste Menschen, beladen mit Tüten, Taschen und Päckchen. Sie schubsten, drückten, zogen sich in verschiedene Richtungen. Mich, in meinem dämlichen Schlafanzug nahm keiner wahr. Bei all dem Geschiebe musste ich erkennen, dass ich hier nur überlebe, wenn ich mit dem Strom schwimme. Einfacher gesagt als getan. Vor mir hatten sich Menschen in orangen Warnwesten scheinbar auf dem Boden festgeklebt. Wahrscheinlich eine neue Werbestrategie der Firma Pattex. Dann wurde ich in ein riesiges Parfümlabor gestoßen. Erzeugten schon die Gerüche der angebotenen Speisen Übelkeit, so erhielt ich jetzt die komplette synthetische Geruchspalette vor den Latz geballert. Wieder draußen, verfing ich mich in einem Lichtschlauch, strauchelte – und knallte auf eine Rolltreppe, die mich direkt in die Dessousabteilung bugsierte. Im Gegensatz zum unteren Tollhaus fiel ich hier in meinem bescheuerten Schlafanzug natürlich auf. Ich versteckte mich schnell in einer freien Umkleidekabine, nachdem ich mich natürlich vorher vergewissert hatte, welche Kabine nun für männlich, weiblich, divers oder pervers bestimmt war. Röchelnde Geräusche machten mich auf die Nachbarkabine aufmerksam. Ein kecker Blick um die Ecke zeigte mir einen Weihnachtsmann mit verrutschtem Bart und ein goldgelocktes Wesen mit Engelsflügeln, die die Nächstenliebe auf pornografische Art öffentlich interpretierten.
Meine Odyssee ging weiter. Ich landete in den verschiedensten Räumlichkeiten moderner Vermarktungsabteilungen. Überall versuchte man mir Dinge überzuhelfen, die für das Weihnachtsfest unbedingt als Gabe für meine Lieben unter den Baum gehörten. Nebenbei bekam ich den Hinweis, auch mal an mich zu denken und mein irritiertes Nicken gab Anlass, mir in schmerzhaften Prozeduren die Brusthaare und den Intimbereich zu epilieren. Eine solariumverbrannte Fußpflegerin hielt einen Mistelzweig über mein Haupt, und wäre ich nicht in diesem Moment auf einer matschigen Mandarine ausgerutscht, hätten mich ihre giftig grellrosa geschminkten Lippen getroffen. Aus tausend Lautsprechern tönten gleichzeitig tausend Weihnachtslieder. Ein aus Lappland eingeflogenes Rentier wurde unter dem Beifall von sogenannten Klimaaktivisten umlackiert.
Unten in der Halle ein Menschenauflauf. Irgendetwas geschah dort. Nachdem mir schnell noch als Schauvorführung die Zähne gebleicht wurden, mir eine genervte Alte beim Überholmanöver ihre Gehhilfe in die Hacken knallte und ich fünf Minuten damit zubrachte, mir ein Stück kandierten Apfel aus dem Haupthaar zu operieren, erreichte ich die Menschenansammlung. Auf allen Vieren pirschte ich mich durch die gaffende Masse. Vorn angekommen, bot sich mir ein merkwürdiger Anblick. Auf einer kleinen Bühne standen mehr oder weniger bekannte Personen, aufgereiht wie ein Chor. Sie sangen, aber jeder ein anderes Lied. Da sang die Altkanzlerin Angela Merkel: „Ihr Kinderlein und unbegleitete Minderjährige kommet, oh kommet ihr all…“ und schwenkte dabei ein Schild mit der Aufschrift „Willkommen im Schlaraffenland“. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, trällerte: „Wir verscherbeln unser Oma ihr klein Häuschen…“, der Verteidigungsminister Olaf Pistorius intonierte: „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren, der Nato haben wir‘s geschworen…“ und der Bundeskanzler Olaf Scholz nuschelte verschmitzt in alter Honecker-Manier: „Die Koalition, die Koalition, die hat immer Recht…“. Robert Habeck und Annalena Baerbock sangen im Duett den abgewandelten Klassiker von Roy Black: „Schön ist es, in der Regierung zu sein, die Wähler fallen auf jeden Schwindel rein…“, Ministerin Faeser machte auf Helene Fischer mit dem Superhit zur illegalen Einwanderung: „Grenzenlos durch die Nacht…“ und der Finanzminister Christian Lindner dichtete: „Steuergelder sind zum Verprassen da, jupheidi und jupheida…“.
Während dieser Chor sich musikalisch dem Konzerthöhepunkt entgegen sang, verteilte der Bundesgesundheitsminister Lauterbach an die erschütterten Zuhörer Rabattmarken für FFP2-Masken und versuchte nebenbei überlagerten Corona-Impfstoff zu verticken.
Mehr konnte ich leider nicht erkennen, das Licht ging aus, die Notbeleuchtung an, aus verschiedenen Richtungen wurde laut „Allahu akbar“ gebrüllt, Panik verbreitete sich. Mittlerweile lagen viele der mit ihren Weihnachtseinkäufen behangenen Besucher bäuchlings auf dem Boden. So auch ich – genau in einer Pfütze aus zerlatschten Schokoladenhohlkörpern, Gammelmandarinen, kandierten Nüssen, Glühwein und Eierpunsch.
Plötzlich war die „GSG 9“ da. Die Maschinengewehre im Anschlag, durchpflügten die Männer der Spezialeinheit das weihnachtlich geschmückte Horrorszenario. Dabei latschte mir einer von denen mit seinen Kampfstiefeln auf meine linken Hand, ein scharfer Schmerz, plötzlich Sterne, Zischen, Pfeifen, ein Knall – ich war wieder zu Hause. Schweißüberströmt saß ich im Bett. Alles sah aus wie immer. Zum Glück hatte ich nur geträumt. Raus aus dem Bett, rein ins Bad, Wasserhahn auf, kaltes Nass ins Gesicht, der Blick in den Spiegel – war das alles wirklich nur ein bösartiger Traum? Und was ist das für ein hässlicher Pyjama!?

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