Auf einer Betriebsversammlung am 16.11.2023 gab die Betriebsleitung bekannt, dass das Fürstenwalder Reifenwerk Ende 2027 geschlossen wird. Zeitgleich erfuhren die Beschäftigten in Fulda vom Aus des dortigen Goodyear-Standortes zum dritten Quartal 2025. Insgesamt fallen laut Unternehmensangaben 1.750 Arbeitsplätze weg. Jens Hack, Direktor der Brunswick-Group, teilte dem Hauke-Verlag im Auftrag von Goodyear mit, dass in Fürstenwalde rund 700 Arbeitsplätze betroffen seien und in Fulda mehr als 1.000. Das Mischwerk in Fürstenwalde mit rund 300 Mitarbeitern bliebe aber erhalten und solle auch über die Schließung der Produktionsstätte hinaus an die anderen Goodyear-Standorte in Europa liefern.
Als der Hauke-Verlag unmittelbar nach Ende der Betriebsversammlung in der Stadtverwaltung Fürstenwalde anrief und um eine Stellungnahme bat, war das Rathaus noch nicht informiert. Der Bürgermeister wurde von der Schließung des größten Industrie-Standortes der Stadt vollkommen überrascht.
Die Kautschukgewerkschaft IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) teilte unmittelbar nach der angekündigten Werkschließung in Fürstenwalde mit: „Eine Katastrophe von großer sozialer und wirtschaftlicher Natur für die ganze Region, Brandenburg und Ostdeutschland, wo viele der Beschäftigten bereits in zweiter und dritter Generation arbeiten. Für die bricht jetzt die ganze Welt zusammen.“ Und weiter: „Wir werden das nicht akzeptieren. Wir kämpfen für jeden einzelnen Arbeitsplatz.“
Der Betriebsratsvorsitzende Peter Weiser war sichtlich mitgenommen: „Wir sind alle geschockt. Aber wir werden kämpfen. Tradition darf nicht sterben!“
Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirksleiterin Nordost der IG BCE und Mitglied im Aufsichtsrat, zeigte sich kämpferisch: „Wir werden die Pläne des Unternehmens nicht akzeptieren und um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen.“ Die Gewerkschaft plant „ab sofort öffentlichkeitswirksame Protestaktionen für den Erhalt der Reifenproduktion in Fürstenwalde.“ Die Gewerkschaft sieht insbesondere die Politik in der Pflicht: „Auch die Landes- und Bundespolitik sind jetzt gefordert, um gute, mitbestimmte und tarifgebundene Industriearbeitsplätze in Fürstenwalde, Fulda und überall in Deutschland zu sichern.“ Für den 24.11.23 mobilisiert die Gewerkschaft zum Aktionstag vor dem Bundesfinanzministerium.
Am Tag nach dem Schock gab Fürstenwaldes Bürgermeister Matthias Rudolph dem Hauke-Verlag in einem intensiven Gespräch sehr ausführlich Einblick in seine Gedanken zu der Werkschließung: „Ich stand mit der Betriebsleitung des Goodyear-Standortes in Fürstenwalde in stetigem Austausch. Nie war von einer Schließung des Werkes die Rede. Im Gegenteil: Bei unseren letzten Gesprächen ging es um eine Aufstockung der Belegschaft. Die Schließung des Standortes kam für uns völlig überraschend!“
Von Anfang an habe er auf eine Zusammenarbeit zwischen Goodyear in Fürstenwalde und Tesla in Freienbrink gesetzt. Aber das sei an allen Beteiligten gescheitert: „25 Kilometer entfernt möchte Tesla derzeit seine Pläne zur Erweiterung der eigenen Fabrik umsetzen, und hier in Fürstenwalde soll ein Reifenwerk abgewickelt werden, das bestens über den Schienenweg an die Fabrik in Grünheide angebunden wäre. Wir haben uns mit unseren Mitteln den Hintern aufgerissen, aber niemand wollte es hören. Weder die Betriebsleitung, noch das Wirtschaftsministerium, noch Tesla. Jedem dieser drei Protagonisten haben wir in persönlichen Gesprächen oder schriftlichen Mitteilungen unsere Mitarbeit und Unterstützung in der Sache zugesagt.“
Dann wird der Bürgermeister emotional: „Das ist alles so widersinnig! Es werden massenhaft Reifen aus Rumänien per LKW nach Fürstenwalde geschafft, hier in einem Zwischenlager deponiert und dann zu Tesla kutschiert. Der Rest der Tesla-Reifen kommt aus Asien. Und bei uns wird das Reifenwerk geschlossen.“
Auch der Bürgermeister weiß, dass die Entscheidung des Global Players Goodyear schwer zu kippen sein wird. Dennoch bietet er an: „Sollte die Stadt Fürstenwalde noch etwas tun können, um den Standort zu retten, werden wir es tun.“
Ihm geht es natürlich um die vielen hundert Arbeitsplätze, aber auch um die Geschichte der Stadt Fürstenwalde: „Die Schließung des Werkes ist dramatisch. Mit Goodyear wird einer der letzten großen Traditionsbetriebe in Fürstenwalde geschlossen. Seit über 85 Jahren werden in Fürstenwalde Reifen hergestellt. Das Werk und die dortige Produktion haben das Bild von Fürstenwalde geprägt, es hat uns Fürstenwalder geprägt. Generationen von Fürstenwalderinnen und Fürstenwaldern haben im Reifenwerk gearbeitet und ihren Lebensunterhalt verdient. Sorgen machen wir uns gerade auch um die von Goodyear abhängigen Unternehmen. Auch hier werden wir hinsehen und wenn nötig unterstützen.“
Der Bürgermeister bleibt trotz der Werkschließung für die Stadt und seine Menschen zuversichtlich. „Bei den Beschäftigten von Goodyear reden wir wirklich mal von Fachkräften! Das sind ausgebildete Produktionsfachkräfte. Und die werden dringend benötigt, auch am Industriestandort Fürstenwalde. Die Hawle Guss GmbH sucht Leute. Daiwa hat sich in Fürstenwalde angesiedelt. Tesla braucht Arbeiter. Ich will die Schließung nicht kleinreden, aber das ist nicht das Ende des Industrie- und Produktionsstandortes Fürstenwalde!“
Während die Gewerkschaft auch „die hohen Personal- und Energiekosten“ in Deutschland als Problem benennt, führt Matthias Rudolph die nicht enden wollenden Umweltauflagen des Gesetzgebers an: „Goodyear musste Millionen in sein Gummimischwerk investieren, um noch eine weitere Abgasreinigungsanlage einzubauen, damit auch der letzte Partikel entfernt wird. Am Ende kam praktisch nichts mehr raus, aber das reichte immer noch nicht. Goodyear musste Gas zufeuern, damit auch der letzte Abgaspartikel verbrannt wird. Teures Gas! Das ist eine völlig sinnlose Verteuerung der Produktion gewesen, dann muss man sich nicht wundern, wenn solche Entscheidungen getroffen werden. Ich bin sicher, wenn diese Forderungen der Umweltbehörden vom Tisch genommen werden, dann hat das Werk auch eine weitere Zukunft.“
Welche Perspektiven gibt es für die Region? Der Bürgermeister gibt den Industriestandort Fürstenwalde nicht auf, im Gegenteil: „Nicht zuletzt die Erfahrung aus der letzten Unternehmensschließung (Reuther, die Red.) lässt mich zwar auch hier um die verlorengehende Tradition und Geschichte trauern, aber optimistisch auf die Zukunft der Stadt und ihre wirtschaftliche Weiterentwicklung blicken.“
Landrat Frank Steffen schickte dem Hauke-Verlag auf Anfrage folgende Stellungnahme, die wir in voller Länge veröffentlichen: „Die Nachricht von der ,Umstrukturierung‘ in Fürstenwalde hat mich am Donnerstag vergangener Woche vom Unternehmen erreicht. Ich bin darüber bestürzt. Der Verlust von 700 Arbeitsplätzen in Fürstenwalde ist ein herber Rückschlag für die Region, auch wenn die Chancen für die Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt eine neue Tätigkeit zu finden, sich deutlich verbessert haben. Überall aus der Wirtschaft wird mir Fachkräftemangel geschildert. Ich gehe davon aus, dass Betriebsrat und Gewerkschaft mit Unterstützung aus dem brandenburgischen Wirtschaftsministerium nach sozialverträglichen Lösungen gemeinsam mit dem Unternehmen suchen. Dieses hat ganz besonders eine Verantwortung für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sofern der Landkreis dabei hilfreich sein kann, werden wir das tun. Ich werde mich in der nächsten Woche dazu mit Minister Steinbach austauschen.“

Michael Hauke

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