Von Michael Hauke
Die Zahl der Menschen, die auf die Straße gehen, wächst ständig. Am 14.02.22 gab es 2.193 registrierte Spaziergänge in Deutschland. Wenn man unterstellt, dass an jedem dieser Spaziergänge im Durchschnitt nur 500 Menschen teilgenommen haben, errechnet sich eine siebenstellige Zahl. Dazu kommen noch die angemeldeten Großdemonstrationen, die jeden Montag stattfinden. Eine solche Bewegung gab es seit der Wende nicht mehr.
Wer sind diese Menschen, die bei Wind und Wetter durch ihre Heimatorte spazieren? Ich habe viele Spaziergänge der vergangenen Wochen beobachtet. Es ist überall das gleiche Bild: Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, Erwerbslose und Berufstätige, Rentner und Familien mit Kindern, viele Unternehmer und Selbständige, Ärzte und Pflegekräfte, in vielen Orten auch der Pfarrer, sind auf der Straße.
Die Spaziergänger wollen ihre Grundrechte zurück, nicht als Gnadenakt, nicht vorübergehend, sondern dauerhaft, wie es sich für einem demokratischen Rechtsstaat gehört. Sie wollen nicht nur Lockerungen, sie wollen die Aufhebung der Maßnahmen. Sie gucken nicht weg, wenn Millionen Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. Sie möchten ihre Kinder und Enkelkinder frei atmen sehen. Sie möchten reisen können, wohin sie wollen, ohne hinterher mit Hausarrest bestraft zu werden. Sie möchten unbeschwert einkaufen und essen gehen können, egal ob geimpft oder ungeimpft. Aber sie möchten an diesem einen Montagabend auch ein bisschen Normalität haben: sich mit Freunden, Nachbarn und Kollegen bei einem Spaziergang unterhalten können. Sie möchten Hinz und Kunz unbeschwert treffen und erfreut feststellen, dass so viele dabei sind, die sie kennen.
Sie trotzen der Verunglimpfung durch die Presse und Politiker, die sie in die Nähe von Reichsbürgern und Radikalen rücken. Sie sind, das sieht jeder, der sich umsieht, die Mitte der Gesellschaft. Sie wissen: Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem.
Bei aller Ausgrenzung, Stigmatisierung, bei aller Unmenschlichkeit, bei allem Unrecht der vergangenen beiden Jahre geben die Spaziergänge dem Land ein Stück seiner Würde zurück.