Von Michael Hauke
Zeitungen haben viele Vorteile. Einer von ihnen ist, dass man in alten Ausgaben blättern kann. In diesen Augenblicken taucht man in die Vergangenheit ein. Und man sieht, was die Welt damals bewegt hat. Meistens weiß man auch, was aus den Meldungen von einst geworden ist.
Ich habe mir anlässlich unseres 30jährigen Bestehens unsere allererste Ausgabe noch einmal genauer angeschaut, nicht nur geblättert, sondern auch viel gelesen. Sie erschien am 04. April 1991, der Verlag wurde im Februar gegründet – am 1. März 1991 hatten wir unseren Gewerbeschein.
Das Titelthema der Fürstenwalder Zeitung war, dass die ehemalige HO-Gaststätte „Wiener Café“ (im Volksmund: „WC“) für zwei Millionen D-Mark in eine hochmoderne Discothek mit „Skybar“ auf der Dachterrasse umgebaut werden sollte. Bauherr Wolfram Walter lebte kurz nach der Wende seinen Traum. Trotz aller Marktanalysen scheiterte er. Grund war unter anderem das Image, dass der Laden unter seiner Regie als HO-Gaststättenleiter zu Ostzeiten hatte. Nicht jeder durfte rein. Und jetzt, als jeder durfte, wollten viele nicht mehr.
So erzählt eine alte Zeitung auch immer die Geschichte geplatzter Träume und Hoffnungen.
Heute ist in dem Objekt in der Eisenbahnstraße die renommierte Norbert Schmidt Hausverwaltung untergebracht.
Aber so eine alte Zeitung erzählt natürlich auch viel Perspektivisches. Nach dem Besuch der Hauptversammlung der Volksbank Fürstenwalde berichteten wir darüber, dass das Bankhaus in Fürstenwalde-Süd eine Filiale eröffnen würde. „Die gab es also damals auch noch nicht“, dachte ich beim Lesen des Artikels. Heute befindet sich in den Räumen in der August-Bebel-Straße ein SB-Bereich der Volksbank.
Das Rudolf-Harbig-Stadion an der Karl-Liebknecht-Straße stand zum Verkauf. Es gehörte der CTA-Holding, heute befindet es sich in Eigentum der Stadt. Da das Gelände nicht zweckentfremdet werden durfte, war die Idee geboren, ein großes Freizeit-Center auf dem Stadiongelände zu errichten. Darüber berichteten wir in unserer ersten Ausgabe nach einem ausführlichen Gespräch mit Stadionverwalter Klaus Runge. Das Freizeitzentrum kam. Aber viele Jahre später und an anderer Stelle: die Spreeschwimmhalle wurde zum „Schwapp“ umgebaut und rundherum, an der sogenannten „Großen Freizeit“, entstand ein Areal für Freizeit, Sport und Spiel. Für das „Schwapp“ gibt es schon wieder andere Pläne, aber das ist eine Geschichte für sich; die Zeit ist schnelllebig.
Das Klinikum in Bad Saarow wurde genau zum Erscheinen der ersten FW privatisiert und ab dann gemeinsam vom Landkreis Fürstenwalde und der Humaine-Gesellschaft betrieben. Vor dreißig Jahren stand in der FW, dass „der ehemalige Kommandant des Objektes, Generalmajor Prof. Günter Werner, frühzeitig mit den neuen Betreibern über seine Übernahme als Chef der neuen Klinik verhandelt haben“ soll.
Das ehemalige Armeelazarett in Bad Saarow ist heute ein hochmodernes Krankenhaus und wird von einem der größten Klinik-Betreiber Europas, der Helios-Kliniken GmbH, betrieben. Das Krankenhaus Fürstenwalde gab es zu der Zeit auch noch, übrigens direkt neben dem Harbigstadion.
Mit dem ersten Nach-Wende-Bürgermeister der Stadt, Manfred Reim, trafen wir uns in seinem Büro im Stadthaus I – ein Rathaus im heutigen Sinne gab es damals nicht. Statt eines klassischen Interviews machten wir mit ihm ein Satzergänzungsspiel.
Wir gaben ihm einen Satzanfang vor, den er dann komplettierte. Eine Bahnüberführung existierte seinerzeit nur an der Hegelstraße, der alten Umgehungsstraße ganz im Westen der Stadt. Jeder Fürstenwalder kannte dadurch das Problem, an den beiden Bahnübergängen an der damaligen Ernst-Thälmann-Straße (heute Eisenbahnstraße) und an der Kirchhofstraße Ewigkeiten warten zu müssen, um von Fürstenwalde-Mitte nach Nord oder entgegengesetzt fahren oder laufen zu können. Das führte zu einer echten Teilung der Stadt. Manfred Reim (falls Sie das jetzt lesen, lieber Herr Reim, fühlen Sie sich herzlich gegrüßt!) nahm es gelassen und ergänzte den Satzanfang „Wenn ich am Bahnübergang im Stau stehe…“ wie folgt: „…dann ist das die Gelegenheit, über Dinge nachzudenken, zu denen ich sonst nicht komme. Für mich ist das ein medidatives Objekt.“ Heute würden alle auf Ihr Smartphone starren. Damals guckte man aus dem Fenster und ließ die Gedanken schweifen.
Ein großes Thema waren 1991 auch die sowjetischen Streitkräfte in der alten Garnisonsstadt. An jedem, wirklich jedem, Ortsausgang gab es riesige russische Kasernen. Die genaue Zahl der stationierten Rotarmisten kannte man nicht. Schätzungen beliefen sich auf dieselbe Anzahl wie die Stadt Einwohner hatte. Wir gingen zahlenmäßig vorsichtig heran und sagten: „30.000 Russen in Fürstenwalde sind…“ Manfred Reim ergänzte: „…kein Grund zur Freude.“
Der ehemalige Staatschef der DDR hatte sich gerade nach Moskau abgesetzt. Auch daran sieht man, wie lange das alles her ist. Manfred Reim ergänzte unseren Satzanfang mit einem einzigen Wort. „Erich Honeckers Flucht nach Moskau ist für mich…“ „Republikflucht!“
Die Hauptstadtdiskussion war in vollem Gange: Bonn oder Berlin? Der damalige Bürgermeister bekannte sich eindeutig zu Berlin. Und so ist es dann – wenn auch nur sehr knapp – gekommen. Undenkbar, dass Bonn heute Hauptstadt Deutschlands wäre, oder?
Und so sind wir wieder in der Gegenwart angekommen. Eine langjährige Mitarbeiterin sagte mir im Vorfeld dieser Ausgabe, dass ich in meinem Jubiläumsartikel bloß nicht wieder damit anfangen solle, dass wir ohne Büro und ohne Telefon unseren Verlag gegründet haben. Also lasse ich es und erzähle nicht noch einmal, dass es fast ein ganzes Jahr dauerte, bis wir einen Telefonanschluss erhalten hatten.
Dauernd schreibe ich „wir“. Wer waren denn „wir“?
„Wir“, das waren zwei jungsche Kerle, die auch ihren Traum lebten; den Traum von der eigenen Zeitung. Andreas Baucik war damals 24 Jahre und ich war 21 Jahre alt. Mein Freund Andreas verunglückte leider am 22. Juli 1991 tödlich. Er war rückblickend unglücklicherweise nicht lange dabei, aber ohne ihn gäbe es diesen Verlag nicht. Wir waren eines der klassischen Zweiergespanne, die nach der Wende in die Selbständigkeit starteten. Bei allem Tatendrang, den mein Naturell, aber erst recht die Wende, in mir freigesetzt hatte: ganz allein hätte ich niemals einen Zeitungsverlag gegründet. Und so trage ich ihn mit seinem freundlichen Wesen und seinem Schaffen immer im Herzen. Sein Name steht seit seinem Todestag im Impressum ganz oben. Und so wird es bis zur letzten Ausgabe bleiben.